Für den Erhalt der Notfallpraxis Bad Saulgau hat der Gemeinderat eine gemeinsame Petition auf den Weg gebracht. Diese wird gerade an den Petitionsausschuss des Landtages versendet.
An den
Landtag von Baden-Württemberg
Petitionsausschuss
Konrad-Adenauer-Str. 3
70173 Stuttgart
Petition für
• die Ausübung der Rechtsaufsichtsfunktion durch Landesgesundheitsminister Manfred Lucha im Zusammenhang mit der Schließung der KV-Notfallpraxen;
• den Ausbau und die Stärkung alternativer Versorgungskonzepte im ländlichen Raum;
• den Ausbau und die Stärkung des Rettungsdienstes im ländlichen Raum.
Die Petition richtet sich an
• Landesgesundheitsminister Manfred Lucha
• Das Land Baden-Württemberg (Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration)
• Sowie die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg
Begründung
Die Ärztliche Bereitschaftspraxis ist außerhalb der Öffnungszeiten der hausärztlichen Praxen für die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung die erste Anlaufstelle am Wochenende. Hier erfahren Menschen aus Bad Saulgau und dem über 40.000 Einwohner zählenden Mittelbereich zeitnahe und ortsnahe medizinische Versorgung. Das System der Notfallpraxen ist seit Jahren etabliert. Seit Schließung des Krankenhauses im November 2022 hat sich zudem gezeigt, dass eine Notfallpraxis auch ohne eine Anbindung an ein Krankenhaus und einer dort befindlichen Notaufnahme gut funktioniert und die Notaufnahmen der umliegenden Krankenhäuser spürbar entlastet.
Die Entscheidung der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg zur Schließung unter anderem der Bad Saulgauer Notfallpraxis führt dazu, dass außerhalb der regulären Arbeitszeiten der in Bad Saulgau niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte keinerlei medizinische Versorgung im Mittelbereich Bad Saulgau gegeben ist.
Noch nicht existierende telemedizinische Angebote werden bereits jetzt als Lösung verkauft. Ob und wann diese (funktionsfähig) zur Verfügung stehen, ist allerdings nicht absehbar – zumal die Bedienung solcher Systeme für (komplexe) gesundheitliche Fragestellungen gegebenenfalls zu hohe Anforderungen an technisch weniger versierte Nutzer (z.B. nicht nur Seniorinnen und Senioren) stellten dürfte und gleichzeitig die notwendige Infrastruktur (insbesondere stabile und schnelle Internetverbindungen) nicht flächendeckend vorhanden sind.
Künftig bleibt zur Versorgung der Patientinnen und Patienten lediglich die Fahrt in die Kreisstadt Sigmaringen
Dies führt unweigerlich dazu, dass für die Inanspruchnahme des ärztlichen Bereitschaftsdienstes Anfahrtswege von 35 km und mehr notwendig werden. Selbst unter der Voraussetzung, dass Patientinnen und Patienten auf ein eigenes KFZ zurückgreifen können oder von Freunden, Bekannten, Verwandten gefahren werden, ist eine Notfallpraxis damit selbst bei optimalen Bedingungen (Verkehr, Witterung, Umleitungen) nicht ohne weiteres innerhalb einer Frist von 30 Minuten erreichbar. Eine Erreichbarkeit über die rudimentären ÖPNV-Angebote ist faktisch nicht gegeben (siehe Screenshot). Auch der Abholservice des ärztlichen Bereitschaftsdienstes besteht nur auf dem Papier.
Auch wer nicht in einem Ballungszentrum wohnt, darf erwarten, dass die Einrichtungen der Gesundheitsgrundversorgung, die solidarisch auch über Krankenkassenbeiträge und Steuermittel finanziert werden, von ALLEN Einzahlern und Menschen nutzbar sind. Dies ist aufgrund der aktuellen Entscheidung nicht mehr gegeben.
Bezweifelt werden muss außerdem, dass eine Konzentration der Notfallpraxis am Standort Sigmaringen zu einer besseren Dienstleistungsqualität führt. Der gegenteilige Effekt wird eintreten. Insbesondere ist zu befürchten, dass es aufgrund der zusätzlichen Belastung der dortigen Notfallpraxis zu einer Überlastung kommen wird – mit negativen Konsequenzen für die Bevölkerung des gesamten Landkreises.
Noch viel schlimmer ist allerdings, dass die Nichtexistenz lokaler Bereitschaftsdienststrukturen für unsere Bürgerinnen und Bürger in doppelter Hinsicht zu einem echten Gesundheitsrisiko und im schlimmsten Fall zu einer Gefahr für Leib und Leben werden.
Die Nichtexistenz lokaler Bereitschaftsstrukturen wird unweigerlich dazu führen, dass Menschen auf das System Rettungsdienst „ausweichen“ – bewusst oder unbewusst. Das Risiko, im ländlichen Raum aufgrund eines Unfalls oder einer schweren Erkrankung dauerhaft geschädigt zu werden oder gar zu sterben, erhöht sich dadurch signifikant – weil der einzige für Bad Saulgau zur Verfügung stehende Rettungswagen künftig vermehrt für vermeintliche Notfälle im Einsatz sein wird und dann für wirkliche Notfälle nicht zur Verfügung steht.
Nicht weniger gravierend ist der Wegfall des Angebotes Notfallpraxis, wenn Menschen aufgrund der räumlichen Entfernung von eigentlich sinnvollen und notwendigen Behandlungen absehen und in der Folge längerfristig oder gar dauerhaft gesundheitlich geschädigt bleiben.
In der Summe führt eine Schließung der Notfallpraxen, insbesondere derer im absolut ländlichsten Raum, dazu, dass das grundgesetzlich verankerte Prinzip der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Stadt und Land weiter erodiert.
Gemeinderat und Stadtverwaltung befürworten zwar grundsätzlich Reformen, die auf den Abbau von Parallelstrukturen und ungenützter Ressourcen zielen. Die Schließung von Notfallpraxen kommt für Bad Saulgau und den Großteil der betroffenen Standorte allerdings einem Kahlschlag gleich. Selbst unter der Annahme, dass an einem effizienteren Einsatz begrenzter Ressourcen kein Weg vorbeiführt, kann die Entscheidung der Kassenärztlichen Vereinigung nur als Themaverfehlung bezeichnet werden.
Im Übrigen wird der Wegfall der Möglichkeit zur wohnort- und standortnahen Ableistung von Notdiensten dazu führen, dass der ländliche Raum für niederlassungswillige Mediziner weiter an Attraktivität verliert. Die Schließung der Notfallpraxen wird deshalb nicht zur Lösung des Fachkräfteproblems beitragen, sondern es weiter verschärfen.
Forderungen
Wir, die Fraktionen des Gemeinderates Bad Saulgau sowie die Stadtverwaltung Bad Saulgau, vertreten durch Bürgermeister Raphael Osmakowski-Miller,
1. fordern von Gesundheitsminister Manfred Lucha deshalb die Ausübung seiner Rechtsaufsichtsfunktion. Wozu gibt es eine Rechtsaufsicht, wenn diese bei Versagen des mit einer Aufgabe betrauten Stelle nicht tätig wird?
2. haben gleichzeitig erhebliche Zweifel daran, dass Gesundheitsminister Manfred Lucha dieser Aufgabe nachkommen wird und fordern deshalb die Ausarbeitung eines schlüssigen und mit hinreichend personellen und finanziellen Ressourcen ausgestatteten telemedizinischen Konzeptes. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Kassenärztliche Vereinigung bereits mit dem Betrieb einer vergleichsweise simplen Telefonhotline (116 117) überfordert. Wenn die als „Allheilmittel“ dargestellte Telemedizin einen echten Nutzen entfalten soll, muss sie auch ohne längere Wartezeiten funktionieren.
3. erwarten, dass unser Gesundheitsminister zu seinem Wort steht und sein in der öffentlichen Sitzung des Sozialausschusses vom 23. Oktober 2024 gegebenes Versprechen einhält, dass eine Schließung der Notfallpraxen erst dann erfolgen darf, wenn die Telemedizin funktioniert.
4. fordern, dass vom Land Baden-Württemberg zusätzlichen Ressourcen für den Ausbau des Rettungsdienstes im ländlichen Raum zur Verfügung gestellt werden, um der oben skizzierten Fehlentwicklung entgegenzuwirken.
gezeichnet
Die Mitglieder des Gemeinderates Bad Saulgau
Landesweite online-Petition
Nicht nur Bad Saulgau, sondern weitere 17 Städte sind von den Plänen der KVBW betroffen. Hierz läuft bereits seit geraumer Zeit eine landesweite online-Petition, für die sich alle Einwohnerinnen und Einwohner eintragen können:
Stadtverwaltung Bad Saulgau
Oberamteistraße 11
88348 Bad Saulgau
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