Das Bad Saulgauer Biodiversitätskonzept besteht aus 5 Säulen.
Die Stadt Bad Saulgau liegt mitten im Herzen Oberschwabens und zählt ca. 18.000 Einwohner (Stand 2021). Das Gemeindegebiet umfasst knapp 10.000 Hektar. Neben der Kernstadt mit etwa 13.000 Einwohnern gehören 13 Ortsteile zu Bad Saulgau.
Schon Mitte der 1980er Jahre sagten renommierte Naturwissenschaftler den menschengemachten Klimawandel und einen immer dramatischer werdenden Verlust der biologischen Vielfalt voraus. Der stetig steigende Kohlendioxidausstoß und freiwerdendes Methan sind im Zeitalter der Industrialisierung, Motorisierung und der industriellen Landwirtschaft ursächlich verantwortlich für das immer größer werdende Dilemma. Es ist genau dieses Szenario eingetreten, das die Wissenschaft schon damals vorhergesagt hatte. Durch Wechselwirkungen und Potenzierungseffekte beschleunigen sich die Prozesse sogar noch wesentlich dramatischer als vorhergesagt, so dass in den nächsten fünf bis zehn Jahren die Weichen für das Überleben der Menschheit gestellt werden müssen. Weil die Menschheit seit Beginn der Industrialisierung nicht vorausschauend gehandelt hat, muss es leider jetzt im Hinblick auf die Erhaltung unserer Lebensgrundlage radikale Änderungen und Einschnitte in Industrie, Landund Forstwirtschaft und bei unseren viel zu hohen Lebensansprüchen geben, soll noch einige Jahrhunderte Leben auf diesem Planeten existieren.
Es muss also jetzt gehandelt werden und nicht erst morgen!
Die Stadt Bad Saulgau nahm die wissenschaftlichen Warnungen schon damals sehr ernst und begann bereits 1992 mit ihrer Pionierarbeit und der Ausarbeitung einer umfassenden Biodiversitätsstrategie. Grundlage dieser Strategie waren naturwissenschaftliche Erkenntnisse sowie eigene Erfahrungen.
Nach und nach wurde dieses Konzept konsequent umgesetzt und bescherte Bad Saulgau bei großen ökologischen Wettbewerben viele Auszeichnungen. Zwischenzeitlich genießt das Bad Saulgauer Biodiversitätskonzept bundesweiten Vorbildcharakter.
Die Erfolge im Bereich Umwelt und Natur sind für das Marketing der Stadt und der Region sowie den regionalen Tourismus von enormer Wichtigkeit, noch entscheidender ist jedoch der Beitrag zum Erhalt unserer Lebensgrundlage und die Strahlwirkung, die das städtische Biodiversitätskonzept inzwischen sogar international auf andere Städte, Kommunen, Landkreise, Behörden, Vereine und Privatpersonen besitzt.
„Wenn (fast) alle mitmachen, die biologische Vielfalt – die Grundlage allen Lebens – zu verbessern, haben wir unsere Mission erreicht. Der Verlust der biologischen Vielfalt ist neben der Bekämpfung des Klimawandels die Herausforderung des Jahrhunderts“, ist sich die Stadt Bad Saulgau mit der Wissenschaft einig. Knapp 80 Prozent der Fluginsekten sind bereits verschwunden, ohne Insekten ist auf der Erde kein menschliches Leben mehr möglich. Nicht nur an der Bestäubung von Nutz- und Wildpflanzen, sondern auch an der Bodenfruchtbarkeit, Pflanzenzersetzung, Nährstofffreisetzung, Gewässerselbstreinigungskraft etc. sind Insekten beteiligt. Es ist also ein paar Sekunden vor Zwölf!
Der städtische Umweltbeauftragte und der Leiter der Stadtgärtnerei sind seit vielen Jahren als Referenten zur Vorstellung der Bad Saulgauer Biodiversitätsstrategie bundesweit unterwegs, um weitere Städte, Kommunen, Behörden, Verbände und Privatpersonen zur Nachahmung und für mehr biologische Vielfalt zu ermutigen.
Thomas Lehenherr, Umweltbeauftragter
Dezember 2021
Als erste Säule der Biodiversitätsstrategie fungieren unsere
Naturlehrpfade:
Bis heute wurden im Gemeindegebiet über 15 Kilometer Fließgewässer renaturiert. Im Rahmen von verschiedenen Flurneuordnungsverfahren war es der Stadt möglich, breite Gewässerrandstreifen zu erwerben. Betonsolschalen wurden entfernt, der Bacherlauf kurvig gestaltet. Gemeinsam mit Schulen und weiteren Helfern wurden Ufer standortgerecht bepflanzt, Nistmöglichkeiten für zahlreiche Vogelarten geschaffen. Die Gewässerrandstreifen werden von ortsansässigen Landwirten nach Vorgaben der Stadt extensiv bewirtschaftet und dienen bei Starkregen als Überflutungsflächen.
In Zusammenarbeit mit privaten Grundstücksbesitzern – teilweise im Rahmen von Flurneuordnungsverfahren – schuf die Stadt zudem zahlreiche großflächige Biotopanlagen (ca. 120 ha) mit Fließ- und über 100 Stillgewässern, sowie Gehölz-, Trocken- und Feuchtstrukturen. Hier kann man heute zahlreiche seltene Pflanzen- und Tierarten beobachten.
Parallel zu den Säulen 1 bis 3, die sich überwiegend mit der naturnahen Gestaltung in der freien Landschaft befassten, begann die Stadt Mitte der 1990er Jahre mit der Ökologisierung des Siedlungsbereiches. Überall wo es sinnvoll und möglich war, wurde auf städtischen Flächen das damalige Einheitsgrün in ökologisch hochwertige Blumenwiesen, Stauden- oder Gehölzflächen umgewandelt. Zahlreiche Verkehrsinseln, öffentliche Plätze wurden entsiegelt und nach biodiversen Grundsätzen begrünt. Nicht nur in der Kernstadt, sondern auch in allen Ortsteilen wurde dieses Konzept konsequent umgesetzt, so dass die Stadt heute auf weit mehr als 100 ha naturnah umgestaltete Flächen verweisen kann, die zum Siedlungsbereich zu rechnen sind. Neu hinzukommende städtischen Flächen (z.B. durch Erwerb im Rahmen der Bauleitplanung) werden entsprechend gestaltet. Die Stadt nutzt zur weiteren Verbesserung der biologischen Vielfalt auch das rechtliche Instrumentarium im Rahmen der Bauleitplanung.
Längst sind Einwohner und Gäste der Kurstadt für ökologische Maßnahmen sensibilisiert und die bunten, artenreichen und insektenliebenden Pflanz- und Gehölzflächen an jeder Ecke ein geliebtes Merkmal des Stadtbildes.
Der NaturThemenPark (NTP) wurde 2017-2019 als praxisorientierte Umweltbildungseinrichtung erstellt und fasst die Vielzahl an umgesetzten ökologischen Maßnahmen im Gemeindegebiet in einem ca. 60 ha großen, teilweise bewaldeten Gelände zusammen. Die Besucher erfahren auf einem barrierefrei hergestellten etwa 4,6 km langen Rundweg alles rund um die Natur, heimische Tiere und Pflanzen, naturnahe Land- und Forstwirtschaft, Wald im Klimawandel, Erdgeschichte etc. Er beinhaltet zudem verschiedene alte und neue Naturlehrpfade der Stadt. Am zentralen InfoPunkt mit sanitären Anlagen gibt es alle Informationen rund um den NTP. Von dort aus starten auch Führungen zu verschiedenen Naturthemen.
Der NTP stellt ein attraktives Naherholungsziel dar und lockt mit seiner ruhigen naturnahen Atmosphäre und den vielen artenreichen
Biotopen sowie ausführlichen Informationen stets viele Besucher aus der ganzen Region an.
April - Oktober SA & SO
14:00 - 17:30 Uhr
Toilette (selbstreinigend) vorhanden (beim InfoPunkt)
Parkplatz 150 m vom Infopunkt entfernt